Schwerbehinderte Arbeitnehmer – Fragen an Dr. Christoph Junck
Zum Thema Schwerbehinderung und Arbeitnehmerrechte haben wir unserem Fachanwalt Dr. Christoph Junck einige Fragen gestellt, die in der Paxis immer wieder gestellt werden:
Schwerbehinderte Arbeitnehmer – Fragen an Dr. Christoph Junck
Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben zusätzliche Rechte im Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber. Um diese wirksam durchzusetzen, müssen sie jedoch bestimmte Regeln beachten. Auch für Arbeitgeber gilt es, Besonderheiten zu beachten. Häufige Fragen aus der Praxis beantwortet Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Christoph Junck:
1. Schwerbehinderte Arbeitnehmer können nicht so einfach gekündigt werden wie andere Arbeitnehmer?
Dr. Junck: Das ist richtig. Schwerbehinderte Arbeitnehmer, also Arbeitnehmer, die einen anerkannten Grad der Behinderung von mindestens 50 haben oder solchen Personen gleichgestellt sind, genießen einen besonderen Kündigungsschutz. Dieser setzt jedoch erst dann ein, wenn sie sechs Monate in einem Unternehmen beschäftigt sind. Will der Arbeitgeber einem Schwerbehinderten hiernach kündigen, muss er zuvor die Zustimmung einer Behörde, des sogenannten Integrationsamts, einholen. Ohne eine solche Zustimmung ist die Kündigung gegenüber einem Schwerbehinderten unwirksam.
2. Wenn der Arbeitgeber dem Schwerbehinderten kündigt, ohne dass das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt hat, ist die Kündigung ohne weiteres unwirksam?
Dr. Junck: Richtig. Aber wenn der Arbeitnehmer falsch oder verspätet reagiert, kann eben auch eine solche Kündigung wirksam werden und zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen.
3. Was ist zu tun, um das zu verhindern?
Dr. Junck: Zunächst einmal muss ein Schwerbehinderter, wie jeder andere Arbeitnehmer auch, gegen eine Kündigung spätestens 3 Wochen nach ihrem Erhalt vor dem Arbeitsgericht klagen. Tut er dies nicht, gilt die Kündigung als von Anfang an wirksam und das Arbeitsverhältnis ist beendet. Für schwerbehinderte Arbeitnehmer gilt es zudem, Folgendes zu beachten: Solange ein Arbeitgeber von der Schwerbehinderung seines Arbeitnehmers keine Kenntnis hat, besteht für den Arbeitgeber keine Veranlassung, das Integrationsamt um Zustimmung zur Kündigung zu bitten. Wenn nun ein Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Kündigung zusätzlich darauf stützen will, dass er schwerbehindert ist und das Integrationsamt der Kündigung nicht zugestimmt hat, muss er nicht nur klagen, sondern seinen Arbeitgeber spätestens drei Wochen nach Erhalt der Kündigung über seine Schwerbehinderung unterrichten.
4. Und was passiert, wenn er das nicht tut?
Dr. Junck: Wenn der Schwerbehinderte erst im Laufe des Rechtsstreits mitteilt, dass er schwerbehindert ist, kann ihn dies teuer zu stehen kommen. Denn bei einer nicht rechtzeitigen Geltendmachung seiner Schwerbehinderung verliert er das Recht, sich auf seinen besonderen Kündigungsschutz zu berufen. Ist die Kündigung nicht bereits aufgrund sonstiger allgemeiner Bestimmungen unwirksam, verliert der Schwerbehinderte seinen Arbeitsplatz, obwohl die Kündigung eigentlich null und nichtig war.
5. Was empfehlen Sie den von Ihnen vertretenen Arbeitgebern? Wie sollten diese vorgehen, wenn sie sich von einem Arbeitnehmer trennen wollen und nicht sicher sind, ob dieser schwerbehindert ist?
Dr. Junck: Fehler, die vor Ausspruch einer Kündigung begangen werden, lassen sich in aller Regel im Nachhinein nicht mehr beseitigen. Daher ist bei den von uns vertretenen Arbeitgebern unsere Beratungstätigkeit bereits vor Ausspruch der Kündigung gefragt. Bestehen beispielsweise Anhaltspunkte für eine Schwerbehinderung eines Arbeitnehmers, kann es mitunter durchaus angezeigt sein, diesen vor Ausspruch einer Kündigung hiernach ausdrücklich zu befragen. Erfährt der Arbeitgeber daraufhin, dass der Arbeitnehmer schwerbehindert ist, muss er das Integrationsamt um Zustimmung zur Kündigung bitten. Verneint dagegen ein schwerbehinderter Arbeitnehmer im Vorfeld einer Kündigung die Frage nach seiner Schwerbehinderung wahrheitswidrig, kann es ihm in einem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess sodann verwehrt sein, sich auf seine Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen.
6. Die Frage nach einer Schwerbehinderung ist also in manchen Fällen zulässig? Setzt sich der Arbeitgeber hiermit nicht der Gefahr aus, Schwerbehinderte zu diskriminieren und ihnen womöglich eine Entschädigung zahlen zu müssen?
Dr. Junck: Richtig ist, dass vor einer Einstellung, etwa bei einem Bewerbungsgespräch, die Frage nach der Schwerbehinderung jedenfalls dann unzulässig ist, wenn die Schwerbehinderung für die Tätigkeit, die ausgeübt werden soll, ohne jede Bedeutung ist. Wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer beim Einstellungsgespräch die Frage nach einer Schwerbehinderung verneint, erwachsen ihm in einem solchen Fall keine nachteiligen Folgen. So kann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag beispielsweise nicht mit der Begründung anfechten, durch die falsche Aussage des Arbeitnehmers getäuscht worden zu sein, um auf diesen Weg das Arbeitsverhältnis zu beenden. Wenn das Arbeitsverhältnis aber länger als 6 Monate besteht, ist die Frage des Arbeitgebers nach einer möglichen Schwerbehinderung seines Arbeitnehmers durchaus zulässig.
7. Wann läge denn beispielsweise eine unzulässige Diskriminierung eines Schwerbehinderten vor?
Dr. Junck: Ein Fall aus meiner Praxis: Eine Arbeitnehmerin bewirbt sich in eine mittelständischen Unternehmen als Sekretärin und ihr wird ein Termin für ein Bewerbungsgespräch angeboten. Die Bewerberin teilt vor dem Termin mit, dass sie vergessen habe zu sagen, dass sie schwerbehindert sei und bittet um Mitteilung, ob weiterhin Interesse an ihrer Bewerbung bestehe. Hieraufhin teilt die Personalabteilung der Bewerberin eilfertig mit, dass das Unternehmen aufgrund der „persönlichen Situation“ der Bewerberin von ihrem Angebot leider Abstand nehmen müsse und wünscht ihr für die Zukunft alles Gute. Bei einer solchen offen zur Schau getragenen Diskriminierung muss ein Arbeitgeber tatsächlich damit rechnen, zu einer Entschädigungszahlung von bis zu drei Monatsgehältern verurteilt zu werden.
8. Welcher Zeitpunkt ist also der richtige, um den Arbeitgeber über seine Schwerbehinderung zu informieren?
Dr. Junck: Wie bereits erwähnt, besteht für einen Schwerbehinderten der besondere Kündigungsschutz erst dann, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht. Deshalb ist es für einen Arbeitnehmer ratsam, seinen Arbeitgeber nicht vor diesem Zeitpunkt über seine Schwerbehinderung zu informieren. Tut er dies dennoch, riskiert er erfahrungsgemäß häufig den Verlust seines Arbeitsplatzes, ohne sich hiergegen erfolgreich wehren zu können. Jedenfalls bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen, die bereits länger als sechs Monate bestehen, gibt es zumindest in rechtlicher Hinsicht keinen Grund, warum der Arbeitnehmer seine Schwerbehinderung dem Arbeitgeber nicht anzeigen sollte. Nur so können der Arbeitgeber und eine im Betrieb ggf. vorhandene Schwerbehindertenvertretung die besonderen Belange des Schwerbehinderten wahren. Beispielsweise ist auch die Gewährung des für Schwerbehinderte geltenden einwöchigen Zusatzurlaubs letztlich davon abhängig, dass der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung weiß.